Funktionsarm | Best-of SAP Basis & Security – August 2021
Autor: Tobias Harmes | 31. August 2021
Zuletzt haben Containerschiffe keine gute Presse gehabt. Dennoch macht ihnen in Sachen Verfügbarkeit und Betriebsstabilität so schnell niemand etwas nach – und eben nicht durch besonders ausgefeilte und umfangreiche Technik. Eher im Gegenteil.
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Editorial
Lässt man mal Fälle von spontanem Querstehen außen vor, sind Containerschiffe schon ziemlich verrückt. Also aus Sicht der Betriebsstabilität, Verfügbarkeit und Redundanz. Zum Beispiel die Schiffe der Maersk Triple-E-Klasse, diese gehören zu den größten Containerschiffen der Welt. Mit ihren 400m Länge kann ein einziges Schiff ohne Probleme bis zu 18.000 Container die 20.000 km um den halben Erdball von Europa nach Asien transportieren – mit einer Mannschaft von gerade mal 13 Personen.
Jetzt könnte man auf die Idee kommen: Ja, moderne Technik macht es möglich. Alles besonders ausgefeilt und ausgefuchst. Nur ist das Gegenteil der Fall. Die Systeme an Bord sind darauf optimiert, besonders simpel zu sein.
Steuerbord per Hand
Nehmen wir zum Beispiel das Steuersystem eines Schiffes. Das Ruder wird durch Metallstangen nach links oder rechts geschoben. Diese Stangen werden durch hydraulischen Druck bewegt. Dieser Druck wird von einer Hydraulikpumpe gesteuert. Diese Pumpe wird durch ein elektronisches Signal aus dem Steuerhaus gesteuert. Dieses Signal wird durch den Autopiloten gesteuert.
Man muss kein Raketenwissenschaftler oder Schiffsarchitekt sein, um die Ursache und die Lösung für ein Problem zu finden:
- Wenn der Autopilot ausfällt, steuere ich das Schiff manuell vom Steuerhaus aus.
- Wenn die elektronischen Signale ausfallen, gehen ich in den Ruderkontrollraum und steuere die Pumpe von Hand, während ich mit der Brücke über ein einfaches, schallgesteuertes Telefon
- Wenn die Hydraulik ausfällt, benutze ich das mechanisch verbundene Notsteuerrad.
- Wenn das mechanische Gestänge ausfällt, befestigen ich eine Kette an beiden Seiten des Ruders und ziehe in die gewünschte Richtung!
Natürlich sind die Schiffe trotzdem mit moderner Technik ausgestattet, die es erlaubt, alles schneller auszuführen oder einfacher zu überwachen. Aber die eigentlich ausführenden Haupt- und Hilfssysteme sind einfacher als früher. Eben weil man sich keinen Ausfall auf offener See leisten kann.
Weniger Funktion = weniger Ausfallzeit
Die Logik dahinter ist, dass die einfach gehaltenen Systeme leichter von jemand anderes bedient werden können, sollte jemand ausfallen (oder sogar über Bord gehen). Das Risikomanagement berechnet dafür etwas makaber den Bus-Faktor, basierend auf der Anzahl der Personen, die unerwartet aus dem Projekt ausscheiden können, bevor es kritisch wird. Des Weiteren können einfache Systeme leichter untersucht und die eigentliche Fehlerursache gefunden werden, wie in dem Beispiel eben mit dem manuellen Steuerruder. Und: Es gibt mehr Alternativen, wenn jedes System eine einzige, klare Aufgabe hat. Denn für ein „23-Funktionen-in-1-Gerät“ gibt es bei aller Kreativität keine MacGyver-Überbrückungslösung.
Digitalisierungs-Featuritis
Bei vielen Unternehmen steht im Zuge der Ablösung von Papierprozessen und der Einführung von neuer Software (sei es SAP S/4HANA oder Cloud-Lösungen wie SuccessFactors) eine Überarbeitung der Prozesse an. Und da geht die Jagd auf die Features los. „Wenn es das kann, dann ist jetzt und nur jetzt die Gelegenheit, das Feature auch zu bekommen.“ oder „Ach komm, wenn wir schon die Anwender neu schulen, dann die App auch noch.“
Doch die vermeintlich tiefhängenden Früchte haben einen hohen Preis. Die Verwendung aller neuen Features lässt hinterher einen Prozess entstehen, der die Komplexität und damit auch die Anfälligkeit gegenüber Wartung und ungeplanten Ausfall der alten Implementierung bei Weitem übertrifft.
Einfache Systeme haben weniger Ausfallzeiten
Natürlich hat niemand in der IT große Lust der ewigwährende Mahner und Spielverderber zu sein. Doch die verfügbarsten Systeme der Welt setzen nachweisbar auf Einfachheit. Und diese Rechnung kann auch dem Fachbereich verständlich gemacht werden: Wer verfügbare IT haben will, muss Featuritis vermeiden. Das ist keine Verhinderung des Fortschritts, sondern ebenso eine Anforderung an die neue Lösung wie jede App-Funktion.
Herzliche Grüße
Tobias Harmes
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